Am 28.09 wurde im Plenum als TOP 2 die Aktuellen Debatte mit dem Titel " Regionalisierungsmittel - Grundlage für ein starkes Angebot im ÖPNV" aufgerufen. Dazu hielt Silke Gericke die Rede für die Grüne Fraktion. Die Rede in Videoform sowie das Skript finden sie untenstehend.
Das Skript der Rede
Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin,
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
In der kommenden Woche findet eine wichtige Sonderkonferenz statt – die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder treffen sich heute mit Bundeskanzler Scholz, um nüber das Entlastungspaket zu beraten.
Ein zentraler Punkt für die Länder wird hierbei auch sein, die Finanzierung der öffentlichen Verkehre sein! Denn mit der Diskussion um eine bundesweite Nachfolgeregelung für das 9-€-Ticket, müssen wir ganz klar sicherstellen, dass wir die Infrastruktur und Angebote für hohe Fahrgastzahlen parat haben. Denn was hilft den Bürger*innen und Bürgern ein günstiges Ticket, wenn keine Bahn oder kein Bus kommt. Das ist gerade für ein Flächenland wie Baden-Württemberg mit einer großen Verbundlandschaft das entscheidende Thema: Die Erreichbarkeit am Land wie in der Stadt! Vom Bodensee bis in die Region Main-Tauber, von der Ostalb bis zur Rheinschiene.
Diese grundlegende Daseinsvorsorge für unsere Bürgerinnen und Bürger durch ein gutes Angebot an Bussen und Bahnen, gilt es auch zu gewährleisten. Das ist der entscheidende Knackpunkt.
Damit wir heute wissen, worüber wir da genau sprechen, müssen wir uns das Konstrukt der Finanzierung noch einmal ins Bewusstsein rufen:
Regionalisierungsmittel sind die Finanzierungsmittel, die der Bund den Bundesländern jährlich zur Finanzierung des Schienenpersonennahverkehrs – insbesondere zur Bestellung von Zügen - zur Verfügung stellen muss.
Diese Verantwortung für den öffentlichen Verkehr auf der Schiene und bei Schienenersatzverkehren ist in Deutschland mit der Bahnreform von 1994/1996 vom Bund auf die Länder übergegangen. Nach dem „Besteller-Ersteller-System“ bestimmen daher die Länder, auf welchen Strecken und in welchem Umfang die Verkehre organisiert werden.
So sagt §1 des Regionalisierungsgesetzes im Wortlaut:
„Die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. Die Stellen, die diese Aufgabe wahrnehmen, werden durch Landesrecht bestimmt.“
Das Regionalisierungsgesetz sagt in §5 aber eben auch:
„(1) Den Ländern steht für den öffentlichen Personennahverkehr aus dem Steueraufkommen des Bundes nach Maßgabe der folgenden Vorschriften für jedes Jahr ein Betrag zu. Damit leistet der Bund einen Finanzierungsbeitrag zu dieser Länderaufgabe.“
Die Höhe der Regionalisierungsmittel belief sich 2019 auf 8,65 Milliarden Euro. Dieser Betrag wird jährlich um 1,8 Prozent erhöht und auf die Länder anteilig nach dem sogenannten Kieler Schlüssel verteilt. Zusätzlich wurde im Rahmen des Klimaschutzpaketes der damaligen Bundesregierung eine weitere Aufstockung der Regionalisierungsmittel umgesetzt, die seit dem Jahr 2020 greift.
So und jetzt kommen wir zu der Sachlage, die uns alle bewegt:
Ende 2021 hat der Bund mit dem Koalitionsvertrag eine weitere Erhöhung der Regionalisierungsmittel den Ländern versprochen. Und das war ein kluges Versprechen – auf das wir uns aber auch verlassen können müssen.
Diese Erhöhung der Mittel für die Länder ist eine dringend notwendige Anpassung, denn unsere Ziele, die wir für die Daseinsvorsorge und zum Klimaschutz beschlossen haben, haben sich geändert.
Sowohl im Bund als auch im Land ist breiter Konsens, dass es eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen bis 2030 braucht, denn sonst werden wir unsere Klimaschutzziele im Verkehr verfehlen. Und für eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen braucht es einen Ausbau des Angebots im öffentlichen Verkehr. Im Klartext: Es müssen mehr Busse und Bahnen fahren. Und an diesem Ziel, an diesem Bedarf muss sich die Höhe der Regionalisierungsmittel orientieren.
Außerdem stehen wir vor einer belastenden Sondersituation: die Kosten im SPNV stiegen in den letzten Jahren schon permanent an und durch den derzeitigen angespannten Energiemarktexplodieren diese.
Regionalisierungsmittel sind Rückgrat und Grundlage für ein starkes Angebot im öffentlichen Verkehr.
Regionalisierungsmittel sind die Finanzierungsmittel, die der Bund den Bundesländern jährlich zur Verfügung stellt, nicht um nur vergünstigte Tarife, die der Bund festlegt, gegenzufinanzieren. Nein, denn neben den Fahrscheineinnahmen sind die Regionalisierungsmittel das wesentliche Finanzierungselement für den Schienenpersonennahverkehr. Das heißt, wenn wir ein günstiges Ticket vom Bund gegenfinanzieren müssen – wissen wir nicht einmal, wovon wir es bezahlen sollen, weil ja die Einnahmen gleichzeitig wegbrechen. Und Mittel, die man in die Bestellung von Zügen eigentlich investieren sollte, muss man dann für Tarifvergünstigungen verwenden.
Dass der Bund massiv mit dem 3. Entlastungspaket Belastungen der Bürgerinnen und Bürgern entgegensteuert, hat unsere volle Unterstützung. Viele Maßnahmen versprechen echte Erleichterungen insbesondere für Menschen mit schmalem Geldbeutel.
Ich kann jede* verstehen, die mit dem günstigen Ticket nach Sylt gefahren ist.
Nett da - aber waren Sie schon mal in Baden-Württemberg? Und da wollen wir auch weiterhin gut an den Bodensee oder auch mal in den Schwarzwald!
Ich wünsche der Arbeitsgruppe, die im Auftrag der Verkehrsministerkonferenz über ein attraktives Nachfolge-Angebot für das 9-Euro-Ticket verhandelt viel Erfolg, denn das „Reallabor“ 9-Euro-Ticket hat gezeigt, dass Busse und Bahnen großen Zuspruch erfahren, wenn Tarife einfach und günstig sind.
An der Stelle, lieber Verkehrsminister Hermann, einen herzlichen Gruß an die Menschen in ihrem Haus, die hier unter großem Zeitdruck mithelfen, um die beste Lösung für die Menschen im Land zu finden.
Aber es liegt doch klar auf der Hand: Ein guter öffentlicher Verkehr funktioniert nur in einem Dreieck. Neben günstigen Fahrpreisen, ist ein verlässliches Angebot mit einem dichten Takt und eine gute Qualität, pünktliche und komfortable Busse und Bahnen entscheidend.
Aus diesen Gründen benötigen die Länder mehr Geld vom Bund, um das Angebot im öffentlichen Nahverkehr überhaupt derzeit halten und stetig ausbauen zu können. Der Bund muss die Regionalisierungsmittel erhöhen! Denn egal wie günstig ein Ticket ist, wenn das Gleis leer bleibt, weil Züge abbestellt werden müssen, hat niemand was davon.
Unsere Forderung ist daher klar: Die Regionalisierungsmittel müssen zügig und substantiell erhöht werden.
Und wir haben ja im Ländle bewiesen, dass wir hier vor Ort den Ausbau gut vorantreiben – wenn wir die ausreichenden Mittel dazu haben – dazu ist Berlin gar nicht fähig – für 16 Bundesländer passgenau den Schienenverkehr aufs Gleis zu bringen. Da tut man sich ja auf Bundesebene schon mit dem Deutschlandtakt im Fernverkehr schwer genug.
Die Regionalisierung ist eine Erfolgsgeschichte für den Schienenpersonennahverkehr, und das gilt insbesondere in Baden-Württemberg!
Mit einem landesweiten Stundentakt von 5:00 bis 24:00 Uhr als Mindeststandard auf allen Strecken wird das Ziel verfolgt, den
Öffentlichen Verkehr in allen Regionen des Landes deutlich auszubauen. Das Angebot wird durch ein systematisches stündliches Expresszugnetz zwischen den Oberzentren in den Verdichtungsräumen und den ländlichen Räumen komplettiert.
Die Menschen in Baden-Württemberg steigen gerne in die schönen gelb-weißen bwegt Züge ein. Aber diese schönen Züge kosten eben auch etwas. Dafür haben wir erfolgreiche Vergabeverfahren in Baden-Württemberg umgesetzt, um diese Leistungen preiswert einzukaufen. Und da stehen in den kommenden Jahren auch wieder neue Verfahren an. Erst diesen Montag wurde der Fahrplan für die schnellen IRE-Züge auf der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm vorgestellt, der mit der Schwäbischen Alb und dem Bahnhalt Merklingen eine Region völlig neu für den Schienenpersonennahverkehr erschließt.
Sie sehen: Wir tun alles, damit in Baden-Württemberg das Thema Schiene vorangetrieben wird. Aber wir bekommen den ÖV-Ausbau und die Verdoppelung der Fahrgastzahlen nur zusammen hin. Baden-Württemberg hat seinen Teil dazu beigetragen und wird das weiter tun. Jetzt ist es an dem Bund zu seinem Versprechen zu stehen.
Denn was bringt ein günstiges Ticket, wenn dann kein Zug oder kein Bus kommt?
Und es gibt länderübergreifend eine große Einigkeit. Sowohl die Verkehrsministerkonferenz als auch die Finanzministerkonferenz haben hier eindeutige Beschlüsse gefasst, die den Bund zum Handeln auffordern. Lassen Sie uns deshalb diese aktuelle Debatte nutzen und gemeinsam ein kräftiges Signal in Richtung Berlin schicken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich wünsche Ministerpräsident Kretschmann und seinen Kolleginnen und Kollegen ein glückliches Händchen bei den Verhandlungen im Rahmen der anstehenden Ministerpräsidentenkonferenz. Und ich wünsche mir noch viel mehr, dass die für Finanzen und Verkehr zuständigen Bundesminister Lindner und Wissing sich nicht länger sperren. Die im Ampel-Koalitionsvertrag zugesagte Erhöhung der Regionalisierungsmittel muss kommen. Und das nicht irgendwann, sondern jetzt!